Page 20 - harris_act
P. 20
wir überall und bei allem, was wir tun, auf der Stelle Leid erfahren. Sie
kann uns in jedem Moment eine schmerzliche Erfahrung aus der Vergan-
genheit erneut durchleben oder angstvoll in die Zukunft blicken lassen.
Oder wir können uns in unvorteilhaften Vergleichen („Sie hat einen bes-
seren Job als ich“) oder negativen Selbstbewertungen („Ich bin zu dick“,
„Ich bin nicht klug genug“) verlieren.
Die menschliche Sprache lässt uns sogar an unseren glücklichsten
Tagen Schmerz erfahren. Nehmen wir einmal an, es wäre Susans Hoch-
zeitstag und alle ihre Freunde und die Familie sind gekommen, um ihre
neue Verbindung mit ihr zu feiern. Sie ist glückselig. Doch dann schleicht
sich der Gedanke Ich wünschte, mein Vater wäre hier ein und sie erinnert
sich an seinen Selbstmord, als sie gerade mal sechzehn Jahre alt war. An
einem der glücklichsten Tage ihres Lebens verspürt sie jetzt Schmerz.
Wir sitzen alle im gleichen Boot wie Susan. Uns kann es noch so gut
gehen und wir können noch so privilegiert sein: Wir müssen uns nur an
ein schlimmes Erlebnis erinnern oder uns ein schlimmes Erlebnis in der
Zukunft vorstellen, uns selbst unbarmherzig kritisieren oder uns mit je-
mandem vergleichen, dem es scheinbar besser geht, und schon leiden wir.
Es ist unser hoch entwickelter Verstand, der selbst die privilegiertesten
Menschen unweigerlich erheblichen Schmerz verspüren lässt. Leider be-
gegnen die meisten Menschen dem Schmerz auf unwirksame Weise. Wir
reagieren auf schmerzliche Gedanken, Gefühle und Empfindungen allzu
oft auf eine Art, die langfristig sinnlos oder selbstzerstörerisch ist. Ein we-
sentliches Element von ACT besteht deshalb darin, die Menschen zu leh-
ren, wie sie durch Achtsamkeit wirksamer mit Schmerz umgehen können.
Was ist Achtsamkeit?
„Achtsamkeit“ ist ein sehr altes Konzept, das sich in zahlreichen, seit Urzei-
ten bestehenden spirituellen und religiösen Traditionen wie Buddhismus,
Taoismus, Hinduismus, Judentum, Islam und Christentum findet. Die
westliche Psychologie hat erst in jüngerer Zeit begonnen, die vielen Vor-
teile der Entwicklung von Achtsamkeit zu erkennen. Für „Achtsamkeit“
22